Jakob Nielsen, einer der führenden auf Web Usability spezialisierten Experten, hat den Begriff vom scannenden User mit geprägt. So schreibt er zum Beispiel in seiner im Jahr 2000 veröffentlichten Kolumne mit dem Titel „Is Navigation Useful“:„For almost seven years, my studies have shown the same user behavior: users look straight at the content and ignore the navigation areas when they scan a new page. (Remember, users almost always scan – they rarely read carefully online.)“
Nach eigenen Studien, die wir in Kooperation mit dem Usabilty Labor der Hochschule der Medien Stuttgart (HDM) durchgeführt haben, ist diese Sichtweise nicht nur wenig hilfreich, sondern auch äußerst missverständlich, weil sie zu undifferenziert ist und uns vom Vorgang der Rezeption von Webseiten einen falschen Eindruck vermittelt.
Laut Nielsen schaut der Benutzer sich eine Webseite an, findet darin einzelne hervorgehobene Begriffe und Sätze und erkennt daran, ob der Inhalt für ihn geeignet ist. Diesen Vorgang nennt Nielsen „scannen“.
Lesen ist nur während der Fixation möglich, also erst wenn ein Benutzer sein Auge auf eine bestimmte Stelle richtet. „Scannen“ ist also nahezu unmöglich. Was ein User während einer Fixation um die fokussierte Stelle herum wahrnimmt, haben wir in der folgenden schematischen Darstellung versucht abzubilden.
Demnach sind im äußeren peripheren Sichtfeld vor allem Bewegungen noch gut erkennbar, aber keine Motive oder gar Texte, ja nicht einmal Farben. Etwas näher sind dann Motive erkennbar, vor allem die Konturen können wahrgenommen werden. Lesen ist also nur im unmittelbaren Fixationspunkt möglich.
Wieviel Benutzer tatsächlich lesen, ist sehr kontextabhängig und lässt sich somit quantitativ kaum messen. Die Aussage, dass Benutzer nur zu 16% Prozent Wort für Wort lesen ist deshalb äußerst irreführend. Richtig ist aber, dass Benutzer hochgradig aufgaben-getrieben sind. Selten kommen sie auf Webseiten um zu „browsen“, also einfach mal zu schauen, was es so gibt. Diese Verhaltensweise trifft am ehesten auf Medienangebote (YouTube, Vimeo, Flickr), auf journalistische Webseiten, auf Blogs sowie auf Social Media Angebote wie der Facebook Wall zu.
Auf den Großteil aller anderen Seiten kommen Benutzer mit einem konkreten Anliegen, vor allem auf kommerzielle Angebote mit Produktdarstellungen oder Webseiten mit Fachveröffentlichungen. Auch hier wird in der Orientierungsphase über Übersichtsseiten gehuscht. In solchen Situationen ist es besonders schwer den Benutzer zum Beispiel auch mit wohlgemeinter interner Promotion oder Werbung abzulenken. Benutzer dringen hier sehr zielorientiert auf Detailseiten vor und es wird, wenn der Benutzer die richtigen Stichworte wahrgenommen hat, durchaus Wort für Wort gelesen, womit wir wieder bei der Ausgangspunkt wären.
Denn dieser vom Benutzer unbewusst angewandte Schutzmechanismus, zu dem auch die sogenannte Banner-Blindness gehört, macht die Sache nicht gerade einfacher. Es kann dazu führen, dass besonders auffällig gestaltete Elemente gar nicht wahrgenommen werden.
Sie gehen dabei nicht systematisch vor und leuchten den Raum systematisch ab, um anschließend zu entscheiden, wohin sie sich wenden sollen, sondern sie leuchten zunächst gezielt in die Ecken, in denen sie das von ihnen Gewünschte vermuten.
Pseudostandards wie z.B. ein Logo steht meist oben links, das Suchfeld meist oben rechts, mit nach unten weisenden Pfeilen kann man etwas nach unten aufklappen lassen oder unterstrichene Wörter sind meist verlinkt, helfen den Nutzern Erfahrungswerte aufzubauen, die sie bei der Erkundung von Websites leiten. In einer Studie, die ebenfalls in Kooperation mit der HDM (Nutzererwartungen zur Position von Interface-Elementen auf Webseiten im internationalen Vergleich) entstand, haben wir nachgewiesen, dass solche Pseudostandards sich sogar im internationalen Kontext für die Position von bestimmten Interface Elementen herausbilden.
Aber auch die Grundsätze „Lernförderlichkeit“ und „Selbstbeschreibungsfähigkeit“ sind in diesem Zusammenhang wichtig. Die Lernförderlichkeit erlaubt uns neue oder verbesserte Interaktions- oder Gestaltungsmodelle zu integrieren, sofern sie einen Fortschritt und eine Erleichterung darstellen. Die Berücksichtigung der „Selbstbeschreibungsfähigkeit“ bringt mit sich, dass Metaphern bei visuellen Elementen, sowie Caption und Label bei textuellen Auszeichnungen von Interaktionselementen nur dann funktionieren, wenn sie nicht zu verschlüsselt sind.
Bilder oder Symbole mit klarer Kontur und eindeutiger Metapher können bei der effizienten Rezeption helfen. Im Gegensatz zu rein typographisch organisierten Dialogen verbessern sie die Rezeptionshierarchien.
Wichtig ist auch die Verwendung üblicher Auszeichnungsmethoden (z.B. klare typographische Überschriftenhierarchien).
Interfaceelemente sollten in Platzierung und Form erwartungskonform gestaltet werden. Hier ist der richtige Platz oft bedeutender als eine auffällige Gestaltung. Ein Suchfeld kann sehr zurückhaltend gestaltet werden, so lange es oben rechts zu finden ist.
Veröffentlicht am: 12. März 2014